Weingeschichten

Kein Eiswein ohne Fön

Die Zeiten ändern sich.

Dieser Beitrag scheint älter als 19 Jahre zu sein – eine lange Zeit im Internet. Der Inhalt ist vielleicht veraltet.

Kein Eiswein ohne Fön

Es ist sternenklarer Himmel, der Vollmond lässt die Landschaft in besonderer Stimmung erscheinen. Ja, mit ein paar Gläschen Wein mehr als gewohnt, könnte man die Stimmung als geradezu unheimlich beschreiben. Unheimlich wird es spätestens dann, wenn nach und nach die Erntehelfer aus dem faden Mondlicht auftauchen. Mode spielt hier keine Rolle – alles, was warm hält, ist erlaubt. Egal, ob dies der rosarote Skianzug aus den 70er Jahren ist, die topmoderne Stiefelheizung oder einfach alles doppelt. Ich persönlich bin einer der „Doppelt-Variante“. Scheint mir doch immer wieder am besten, zumal im Gegensatz zu den Erntehelfern ich eine der Personen bin, die auch bei Tageslicht noch auf dem Weingut zu sehen sein werden. Ich weiß nicht, wie das rüberkäme: der Kellermeister im rosaroten Skianzug. Wie dem auch sei, Eisweinernte hat für mich auch immer ein wenig mit Karneval zu tun, denn die Leute sind dermaßen vermummt und eingepackt, dass man sie entweder erst auf den zweiten Blick erkennt oder eben gar nicht. Es ist nachts, 3:30 Uhr, die Vorbereitungen für die Eisweinlese sind in vollem Gange. Zum einen muss das Presslokal vorbereitet werden, das ganze nötige Handwerkszeug sollte bereitliegen, denn sobald die Eisweintrauben kommen, muss es schnell gehen. Die ersten Eisweinerntehelfer treffen ein, allerdings noch mit fragendem Gesichtsausdruck, denn das Thermometer zeigt erst -6° C an. Das ist nicht kalt genug für Eiswein, wir brauchen mindestens -7° C. Darunter darf man nicht und macht auch keinen Sinn, denn dann würde es nicht funktionieren. Trotzdem sind wir zuversichtlich, denn gegen 4:30 Uhr bis zum Sonnenaufgang wird die Temperatur nochmals absacken. Es wird knapp. Was auch immer passiert … wir haben entschieden, auf alle Fälle zu ernten. Ich versuche, unsere funkelnagelneue Kelter, die bereits seit Tagen im Freien steht, in Betrieb zu setzen. Alles funktioniert, nur das ultramoderne Display zeigt nichts an. Hektik macht sich breit, die Temperatur ist gefallen, das Team will in die Weinberge und ich stehe da mit einer Presse, die womöglich nicht pressen will. Ein Fluch auf die moderne Technik, mit der alten Kelter wäre so etwas nicht passiert. Im Grunde brauche ich gar kein Display, aber dennoch hätte ich gerne ein wenig Kontrolle darüber, ob z.B. der von mir angestrebte Pressdruck auch erreicht wird oder nicht. In der Betriebsanleitung kann ich nichts finden, also rufe ich kurzerhand den Servicedienst an. Am anderen Ende der Leitung herrscht ungläubiges Staunen über meinen Anruf, denn für den schlaftrunkenen Techniker scheint es logisch zu sein, dass bei diesen tiefen Temperaturen ein Display nicht mehr funktionieren kann. Er hat es mir wohl erklärt, aber verstanden habe ich es nicht. Warum extra Eisweinprogramme eingespeichert sind, obwohl die Hersteller genau wissen, dass es ab 0° Grad nicht mehr funktioniert, konnte der Techniker mir zwar nicht beantworten, doch gab er mir den entscheidenden Tipp, nämlich das Display einfach mit einem Fön anzuwärmen, dann funktioniere alles bestens. Genau so haben wir es gemacht, und der Techniker sollte Recht behalten. Damit wird meinem Berufsstand ab sofort ein neues Werkzeug zuteil: der Fön. Mittlerweile sind 3 Fahrzeuge in den Reihen so positioniert, dass sie die Erntemannschaft mit ihren Lichtern unterstützen. Jedes Beerchen ist wertvoll, da wäre es schade, wenn etwas hängen bliebe, oder auf den Boden fällt. Die ersten Reihen werden geöffnet, d.h. die Vogelschutznetze müssen vorsichtig von der Traubenzone abgehängt werden. Hört sich nicht sonderlich spektakulär an, doch geht man zu rabiat vor, liegt bereits an diesem Punkt die ganze Ernte auf dem Boden. Letzter Temperaturcheck, wir sind bei -8° C, es geht los. Wie Steine poltern die Trauben in die Eimer, ein Stock nach dem anderen wird abgeerntet. Ist die erste Hälfte der Eimer voll, geht es damit zum Weingut direkt in die Presse. Reihe um Reihe wird abgeerntet, die Kälte schleicht zunehmend in die Glieder, der Enthusiasmus der ersten halben Stunde schwindet in dem Maße, wie die Kälte immer mehr Besitz von uns nimmt. Die Stimmung, die bei der Eisweinernte herrscht, ist unbeschreiblich. Ich kann nur jedem empfehlen: Falls man einmal die Chance bekommt, dies mitzuerleben, so sollte man es unbedingt tun. Es hat nichts mit dem fröhlichen Ernten während der Herbstkampagne zu tun, denn hier nun wird absolut konzentriert gearbeitet – zum einen, weil die Lichtverhältnisse problematisch sind, zum anderen, weil jedes Beerchen extrem wertvoll ist, und nicht zuletzt, weil jeder von dieser besonderen Stimmung einfach angesteckt wird. Gegen 7:30 Uhr zeigen sich die ersten Anzeichen von Sonnenlicht. Die Zeit ist knapp, denn bald wird die Temperatur wieder ansteigen. Die letzten Trauben werden geerntet und zur Weinpresse transportiert. Jetzt wird es spannend, die Erntehelfer versammeln sich langsam um die Presse, denn sie wollen miterleben und selber sehen, ob ihre Arbeit belohnt wurde. Die letzten Trauben verschwinden in der Kelter, Deckel zu und los geht es. Dank meiner Fönbehandlung leuchtet das Display nun unverdrossen und alle können ablesen, wie der Druck langsam ansteigt. 5 Minuten sind vergangen, und noch hat kein einziger Tropfen die Presse verlassen. Ungeduld macht sich breit, doch ich bin froh, denn je länger es dauert, bis die Flüssigkeit kommt, umso hochwertiger wird das Resultat. Ganz dem Klischee entsprechend werden Schnapsgläschen verteilt und eine Flasche Tresterbrand macht seine Runde. Das tut gut, weckt die Lebensgeister und gehört einfach dazu. Eisweinernten ohne Schnaps wäre wie Autofahren ohne Auto. Das geht nicht, also gleich noch eine zweite Flasche in die Runde. Es ist soweit, ein dünner Strahl ergießt sich aus der Presse in die Auffangwanne. Die erste Messung mit dem Refraktometer ergibt, dass die Skala dieses Geräts gar nicht ausreicht, um den Wert anzuzeigen. Beruhigend, denn damit sind wir auf alle Fälle über der notwendigen Grenze von 128° Oechsle. Den genauen Zuckergehalt dieser Essenz werde ich später im Labor exakt bestimmen (tatsächlich waren es dann 204° Oechsle). Jetzt geht es aber erst einmal zum Frühstück, Kaffee trinken und richtig aufwärmen. Die Kelter wird die restliche Hauptarbeit übernehmen. Finanziell gesehen ist es grober Unfug, Eiswein zu produzieren, denn genau genommen wäre der Stoff nahezu unbezahlbar. Dennoch ist dies eine der letzten Bastionen deutscher Weinkultur, die aber leider Gottes nun ebenfalls ins Blickfeld von Discountern und deren Produzenten geraten ist. Ich frage mich zuweilen schon, was das für Typen sind, die wir Winzer immer wieder in die Gremien wählen, wenn diese dann dem Gesetzgeber empfehlen, Eisweinernte mit der Erntemaschine zuzulassen. Es ist einfach schade – manche Tradition wäre es wert, geschützt zu werden!

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